Die mit Abstand aufregendsten zwei Wochen, die ich bisher in meinem Leben hatte. Geprägt von Zeit für mich und mit mir selbst, tollen Eindrücken, liebenswerten Menschen und atemberaubenden Momenten.
Doch bevor ich mit den vielen schönen Erinnerungen beginne, fange ich einfach mal an, alles von Anfang an zu erzählen:
Es war Mittwoch, der 19. September 2018 - eigentlich ein stinknormaler Arbeitstag, doch nicht für mich. Denn es war ein Tag vor meiner Abreise. Irgendwie war ich aufgeregt wie ein kleines Kind an Weihnachten vor dem Geschenke auspacken. Ich hatte Hummeln im Hintern und konnte weder stillsitzen noch völlig konzentriert arbeiten. Meine Gedanken drehten sich nur um die Reise und je näher der Feierabend rückte, umso nervöser wurde ich. Komisch, denn eigentlich bin ich nie aufgeregt, wenn es auf Reisen geht. Aber diesmal schien alles anders zu sein - sowohl die Reise als auch das Gefühl.
Bis zum Abend nahm die Aufregung kein Stück ab, doch am nächsten Morgen sah alles irgendwie anders aus. Ich hatte morgens genug Zeit eingeplant, um mich in Ruhe fertig machen zu können und musste mich somit auch nicht abhetzen, um mit der Bahn zum Flughafen zu kommen. Innerlich war ich völlig tiefenentspannt. Ich gab in aller Ruhe mein Gepäck ab und begab mich zum Gate, wo ich auch nicht mehr lange auf das Boarding warten musste. Der Flieger startete aufgrund eines Passagiers etwas verspätet - da wollte jemand auf keinen Fall Deutschland verlassen. Verstehe mal einer, warum man einen Flug bucht, sich in den Flieger begibt und dann doch nicht abreisen will.
Da ich einen Flug mit Zwischenstopp gebucht hatte, musste ich in Brüssel einmal umsteigen. Durch die kleine Verzögerung am Hamburger Flughafen, war die Umsteigezeit aber relativ kurz. Und so ging es dann auch ziemlich zügig weiter nach Porto.
Glücklicherweise hatte ich bei den beiden Flügen einen Fensterplatz - in meinen Augen der beste Platz, den man bekommen kann. Denn so hat man auch mal die Möglichkeit die Landschaften der unterschiedlichen Länder von oben zu betrachten - eine Perspektive, die man sonst nicht so schnell wieder bekommt.
In Porto angekommen, machte ich mich erstmal auf die Suche nach einem Bus, mit dem ich vom Flughafen in die Stadt fahren konnte. Dank meines Reiseführers wurde ich sogar ziemlich schnell fündig. Also setzte ich mich in den Bus und fuhr in Richtung Stadt.
Mit jedem Meter, den der Bus der Stadt näher kam, war ich immer beeindruckter und faszinierter. Ich bin zwar schon davon ausgegangen, dass Porto eine schöne Stadt sein würde, war aber dennoch irgendwie hin und weg. Ich fuhr bis zur Endstation mit dem Bus und hatte danach noch einige Meter zu meiner Unterkunft zu laufen. Ein komisches Gefühl so mit dem Rucksack unterwegs zu sein, aber von Aufregung war dennoch weiterhin keine Spur.
Nachdem ich meine Sachen in der Unterkunft abgelegt hatte, machte ich mich auf den Weg, um Porto ein wenig zu erkunden. Schließlich war es der einzige Abend, den ich in dem Ort hatte. Also begab ich mich in Richtung des Flusses Rio Douro. Ich wollte dort einmal zur Brücke Ponte de D. Luís I, denn mir wurde gesagt, ich solle dort unbedingt einmal hin.
Die Brücke war tatsächlich gar nicht so weit weg von meiner Unterkunft und blieb somit auch nicht lange unentdeckt. Wie denn auch?! Sie war ein echter Hingucker!
Auf dem Weg zur Promenade hatte ich einen wirklich tollen Ausblick. Und die Lichtstimmung war durch den Sonnenuntergang einfach perfekt.
Als ich an der Promenade ankam, fielen mir sofort die mit Kacheln verzierten Gebäude auf. Sie gaben der Straße noch mal einen gewissen Charme, der für eine echt tolle Atmosphäre sorgte. In diesem Zuge konnte ich es mir auch nicht nehmen, einmal über den kleinen Basar zu laufen, den ich dort entdeckte.
So viele schöne Kleinigkeiten, die dort zum Eye-Catcher wurden. Und obwohl ich auf so einen Krimskrams überhaupt nicht abfahre, hatte ich fast schon Schwierigkeiten, dort nichts zu kaufen. Die Versuchung war nämlich groß.
Und so schlenderte ich weiter an der Promenade entlang, vorbei an einigen großartigen Straßenmusikern und suchte mir ein schönes Lokal, in dem ich zu Abend essen konnte. Ich genoss den Abend in aller Ruhe, aß ganz leckeren Kabeljau und machte mich anschließend wieder auf den Weg zu meiner Unterkunft.
An diesem Abend legte ich mich ziemlich zeitig zu Bett, denn ich wollte am nächsten Morgen früh in den Tag starten. Schließlich stand eine aufregende Zeit bevor. Eine Zeit über die ich Tag für Tag berichten möchte.
TAG 1
Porto ⟶ Vila Chã (25,8 km)
Der Tag begann für mich ziemlich früh am Morgen. Ich machte mich schnell zurecht, packte meine sieben Sachen wieder zusammen und machte mich auf den Weg zur Kathedrale von Porto - dem Startpunkt des Camino Portugues. Komischerweise habe ich keinen Funken Aufregung gespürt und auch nicht das Gefühl gehabt, dass es merkwürdig oder schwer sein würde den ersten Schritt zu gehen. Da ich anfänglich nicht genau wusste, ob ich den ersten Stempel dieser Route unbedingt an der Kathedrale holen musste, hielt ich mich relativ lange dort auf.
Als ich allerdings merkte, dass das Informationsbüro erst um 9 Uhr öffnete, entschied ich mich einfach dafür, den Stempel auszulassen und mich direkt auf den Weg zu machen. Zufälligerweise machten sich in genau dem Moment auch noch zwei andere deutsche Mädels auf den Weg. Wir wechselten ein paar Worte und gingen sogar ein paar Schritte in die gleiche Richtung. Da ich mich jedoch eigentlich dazu entschieden hatte, anfänglich den Küstenweg zu gehen, war ich total verwirrt, als die Pfeile uns in Richtung Innenstadt führten. Das war dann auch der Grund dafür, dass ich mich schnell wieder von den Mädels abseilte und noch einmal zurück zur Kathedrale ging. Es war nämlich nicht der Weg, den ich gehen wollte. Ich dachte mir, dass wir vielleicht Pfeile übersehen hatten, die auch noch die andere mögliche Route zeigten. Doch dem war irgendwie nicht so. Das wurde mir bewusst, als ich noch einen Versuch von der Kathedrale aus wagte. Da ich allerdings in meinem Reiseführer von der anderen Route gelesen hatte, holte ich ihn raus und machte mich einfach frei Schnauze auf den Weg in Richtung Wasser. Was soll schon schief gehen, wenn man sich an der Küste entlang hangelt?! Da konnte man ja kaum was falsch machen - schließlich sollte sich das Wasser auf der Route immer links befinden.
Relativ schnell konnte ich sogar feststellen, wo ich mich laut Reiseführer gerade befinde und konnte mich somit weiterhin an ihm orientieren - denn Pfeile habe ich anfangs überhaupt keine gesehen.
Und dennoch fühlte es sich irgendwie nicht merkwürdig an. Eigentlich hatte ich anfangs sogar das Gefühl, ich würde einfach nur einen morgendlichen Spaziergang entlang der Promenade machen. Vielleicht war ich auch nur darauf fokussiert herauszufinden, wo ich gerade bin, sodass ich gar keine Möglichkeit hatte mir irgendwie Gedanken darüber zu machen, dass ich gerade völlig allein unterwegs bin.
Der Morgen an der Küste bot echt viele schöne Kulissen an, die mich regelrecht faszinierten.
Vorbei an einigen kleinen Shops, hübschen Straßen, der einen oder anderen Brücke und einigen Anglern kam ich dem offenen Meer immer näher.
Und plötzlich stand ich da, an der Einmündung ins Meer und hörte das traumhafte Rauschen der Wellen.
Ich ging weiter, immer an der Küste entlang und traf irgendwann auch endlich auf die ersten anderen Pilger, die sich für den Küstenweg entschieden haben. Wir sprachen ein paar Worte und gingen auch eine Weile gemeinsam weiter. Doch ich entschied mich dann relativ schnell dazu, allein weiterzulaufen.
Der Weg führte mich vorbei an einem Leuchtturm und vielen riesigen Strandflächen. Unterwegs begleitete mich dann auch für etwa 2 Kilometer ein Portugiese, der mir zwei Anlaufstellen zeigte, wo ich mir Stempel für meinen Pilgerpass holen konnte. Und obwohl er kein Wort Englisch sprechen konnte und deshalb nur stillschweigend neben mir herlief, war es mir irgendwie nicht unangenehm, dass er mich am Strand entlang begleitete. Die Strände waren wirklich wunderschön und trotzdem sah man dort keine Menschenseele. Das hat mich richtig erstaunt, da man sowas bei uns in Deutschland überhaupt nicht kennt.
Ich dachte mir, die Wellen könnten der Grund dafür sein, dass dort keiner baden geht. Wie ich jedoch später erfahren habe, lag es aber daran, dass der Atlantische Ozean einfach zu kalt ist.
Der Großteil des Weges führte über Holzpfade, was mir persönlich teilweise echt anstrengend vorkam. Denn die Wege hatten gefühlt überhaupt kein Ende in Sicht. Sie führten einfach nur immer geradeaus.
Irgendwann kurz vor Ende meiner ersten Etappe gab es dann aber endlich etwas Abwechslung und es ging einige Treppenstufen nach oben zu einem Aussichtspunkt. Dort gab es dann die Möglichkeit, den Weg ein kleines Stück zu verlassen und den Ausblick zu genießen.
Dieser Moment dort oben war mit Abstand der schönste Augenblick an diesem Tag. Dort hatte ich nämlich die Möglichkeit, einmal den Tag zu reflektieren und richtig durchzuatmen.
So komisch sich das vielleicht auch anhört: Ich stand wirklich vorne an der Klippe, holte ganz tief Luft und fühlte mich einfach unbeschreiblich gut. Ich dachte darüber nach, dass ich an diesem Tag fast komplett allein gegangen war und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Dabei stellte ich relativ schnell fest, dass ich zwischenzeitlich an überhaupt nichts gedacht habe. Mein Kopf war teilweise einfach leer und das tat irgendwie verdammt gut.
Nachdem ich dort einige Minuten verweilt und durchgeatmet hatte, machte ich mich weiter auf den Weg in Richtung der ersten Herberge. Zum Glück fand ich sie relativ schnell, denn meine Beine waren mittlerweile schon echt lahm geworden und die Füße fühlten sich an wie Zementsäcke.
Ich war die zweite Person, die sich in der Herberge eingetragen hat und hatte dementsprechend sogar noch freie Bettwahl. Der Raum, in dem ich in dieser Nacht geschlafen habe, hatte Platz für insgesamt 8 Personen - allerdings gab es in der Herberge noch einen zweiten Raum, der etwa genauso viele Plätze angeboten hat.
Der Abend verlief ziemlich unspektakulär, denn nachdem ich einen kurzen Abstecher im Supermarkt gemacht hatte, wechselten wir noch ein paar Worte mit den anderen Pilgern und fielen ziemlich früh völlig erschöpft ins Bett.
TAG 2
Vila Chã ⟶ Barcelinhos (36,3 km)
Der Wecker klingelte an diesem Morgen schon ziemlich früh. Ich stand auf, machte mich langsam fertig, packte wieder meine sieben Sachen zusammen und machte mich schnurstracks auf den Weg. Als ich loslief, fiel mir erst auf, wie früh es eigentlich noch war. Es war erst 6:15 Uhr und dementsprechend noch völlig dunkel draußen. Ich lief wieder runter zur Küste, an der mich der Weg noch bis zum nächsten Ort entlangführte. Erst da wurde mir so richtig bewusst, wie dunkel es eigentlich noch war. Denn abgesehen davon, dass ich völlig allein losgelaufen bin, gab es an diesem Morgen auch noch Nebel, der die Dunkelheit gleich etwas mystischer wirken ließ. Einerseits war es ein echt komisches Gefühl, dort nun völlig allein entlangzulaufen, doch andererseits fühlte sich das irgendwie befreiend an. Denn es war keine Menschenseele unterwegs. Ich konnte meinen Gedanken somit freien Lauf lassen und einfach nur dem Rauschen des Meeres zuhören. Erst als ich die Sonne langsam aufgehen sah, begegnete ich einigen anderen Pilgern.
Irgendwie war es ein echt schönes Gefühl, gemeinsam mit der Sonne in den Tag starten zu können und zu beobachten, wie sich der Nebel langsam aus dem Staub machte. Ich muss ja auch sagen, dass ich die Momente gar nicht so mit der Kamera festhalten konnte, wie sie eigentlich waren. Denn immer wieder, wenn ich dachte, dass das gerade ein perfekter Moment für ein Foto wäre, sah es durch die Kamera gar nicht so aufregend aus, wie es für mich persönlich war.
Nach den ersten 7 Kilometern an diesem Tag war es dann auch an der Zeit, die Küste wieder zu verlassen und im Landesinneren weiterzulaufen. Ich hatte mich nämlich dazu entschlossen, nur einen kleinen Teil des Küstenweges zu laufen und den Rest über den traditionellen, zentralen Weg zu gehen. Da ich mich in Vila de Conde noch mit drei Tschechen unterhalten hatte, die sich noch nicht ganz sicher waren, welche der zwei Wegoptionen sie wählen wollten, holte mich Achim ein. Mit ihm ging ich dann weiter.
Wir gingen gemeinsam durch Wälder, Felder und an vielen Straßen entlang und unterhielten uns den gesamten Weg über.
Natürlich haben wir es uns auch nicht nehmen lassen, mal die leckeren Weintrauben zu probieren, an denen wir gefühlt alle 10 Meter vorbeigelaufen sind. - Das wurde im weiteren Verlauf der Strecke sogar irgendwie zur Routine, denn es waren wirklich köstliche Weintrauben.
Da wir uns den gesamten Weg über unterhielten, merkten wir gar nicht, wie schnell wir eigentlich unterwegs waren. Unterwegs fing dann plötzlich mein Zeh an zu schmerzen und ich hatte dann auch meine ersten zwei fetten Blasen an den Füßen bekommen, die scheinbar so viel Reibung abbekommen hatten, dass sie aufgeplatzt sind. Das war dann auch der Grund, warum ich von meinen Wanderschuhen zunächst zu meinen eingepackten Turnschuhen wechselte. Bereits gegen Mittag hatten wir dann unser eigentlich vorgenommenes Ziel erreicht. Wir waren schon 20 Kilometer gelaufen, dabei war es gerade mal 11:30 Uhr als wir in Rates ankamen.
Nachdem wir uns eine etwas längere Pause gegönnt hatten, entschieden wir uns irgendwie dazu, gemeinsam noch eine Etappe weiterzulaufen. Noch einmal 16km, die wir dann vor uns hatten.
Wir unterhielten uns weiterhin über Gott und die Welt und das Ziel rückte langsam immer näher.
Was wir aber irgendwie etwas unterschätzt haben, war die heiße Mittagssonne. Denn obwohl vor meiner Reise nur 15 bis 25 Grad vorhergesagt waren, hatten wir in dieser Zeit ganze 30 Grad bekommen. Es war also wahnsinnig heiß und wir hatten leider das Glück, dass es viel zu wenig schattige Wege gab.
Die letzten 6km waren wirklich eine Qual. Die Oberschenkel brannten, die Füße waren völlig schwer und das Ende rückte irgendwie überhaupt nicht näher. Jeder Schritt war eine Hürde, die wir überwinden mussten. Kein Wunder, dass wir unglaublich glücklich waren, als wir dann endlich die Herberge erreichten. Nachdem ich mich dann für einen kurzen Moment gesetzt hatte, konnte ich mich anschließend kaum noch bewegen. Die Beine, ja wie fühlten sie sich an?! Das kann man irgendwie gar nicht beschreiben. Jeder Schritt war irgendwie mit Taubheit und Schmerz gleichzeitig verbunden. Muskelkater war am nächsten Tag also bereits vorprogrammiert.
Achim - der übrigens mein Vater hätte sein können - und ich verbrachten noch den gesamten Abend zusammen, gingen Essen und lernten noch einige weitere Pilger kennen. Da ich echt völlig erschöpft vom Tag war, bin ich an diesem Abend wieder früh ins Bett und dabei in Sekunden eingeschlafen.
TAG 3 Barcelinhos ⟶ Vitorino dos Piães (22,2 km)
Kaum zu glauben, dass ich an diesem Morgen überhaupt aus dem Bett kam. Und obwohl ich am Abend zuvor noch gedacht hatte, ich würde vor Muskelkater überhaupt keinen Schritt nach vorne gehen können, ging es mir an diesem Morgen erstaunlich gut. Achim und ich machten uns wieder relativ früh - diesmal um 7 Uhr - auf den Weg. Allerdings entschieden wir uns dafür, getrennt voneinander weiterzugehen. Da ich an diesem Morgen sowieso noch kurz an der Post vorbeigehen wollte, trennten sich unsere Wege schon nach ca. 500 gemeinsamen Metern. Wir verabschiedeten uns ganz herzlich und wünschten uns gegenseitig noch einen "Bom Caminho" - so wie man das eben auf dem Jakobsweg macht.
Witzigerweise kreuzten sich unsere Wege noch einmal kurz. Denn als ich von der Post aus auf den Jakobsweg zurückging, lief ich Achim wieder über den Weg. Wir lachten einen Moment, als er mir erzählte, dass er sich da verlaufen hatte und gingen dann wieder getrennt voneinander weiter. Jeder in seinem eigenen Tempo. Achim wollte an diesem Tag nämlich sowieso eine Etappe weiter laufen als ich. Und außerdem tat es tatsächlich auch ganz gut, den Weg allein zu meistern.
Es war ein wunderschöner Morgen und man konnte bei einem ganz tollen Sonnenaufgang wieder einen traumhaften Ausblick auf die Landschaften genießen. Dadurch, dass ich an diesem Tag ganz allein gelaufen bin, hatte ich wieder jede Menge Zeit für mich selbst. Zeit für mich und meine Gedanken.
Der Weg führte durch einige kleine Orte mit vielen wunderschönen Häusern. Es ging relativ viel bergauf und bergab. Und auch wenn es nur kleine Anhöhen waren, wurde es mit der Zeit echt anstrengend. Vor allem als der Mittag immer näher rückte und die Temperaturen stiegen.
Neben den traumhaften Streckenabschnitten durch die Orte, ging es an diesem Tag auch ziemlich viel übers Feld. Das machte den Weg nicht weniger anstrengend, eher im Gegenteil. Denn bei den Wegen zwischen den Weinplantagen fand man kaum ein schattiges Plätzchen, wo man sich vor der Sonne hätte etwas schützen bzw. verstecken können. Hinzu kam auch noch, dass die Schmerzen an meinem Zeh immer intensiver wurden. Ich quälte mich also die letzten Kilometer durch die Hitze, um irgendwie an der nächsten Herberge anzukommen. Doch die Zeit zog sich, die Kilometer wurden gefühlt nicht weniger. Und dass ich in dem Moment allein war, machte das alles irgendwie noch schwieriger, denn es gab niemanden, der mich von den Schmerzen oder der Hitze hätte ablenken können. Um mich dann auf andere Gedanken zu bringen, fing ich tatsächlich an zu singen. Jeder, der mich dabei gesehen hätte, hätte mich mit größter Sicherheit ausgelacht und mich für völlig bescheuert erklärt. Ein junges Mädchen, bepackt mit einem dicken, fetten Rucksack auf dem Rücken läuft fröhlich singend durch die Felder - sicher ein amüsanter Anblick. Aber es hatte geholfen - und das war in dem Moment das Wichtigste.
So lief ich da also singend durch die Weinplantagen, pflückte mir unterwegs noch einige leckere Weintrauben und kam irgendwann an der ersten Herberge an. Ich wollte mein Glück versuchen und ging hinein, traf dort allerdings keine Menschenseele an. Also entschied ich mich noch einen Kilometer weiterzugehen bis zur nächsten Herberge - was ist schon ein Kilometer?! Ich ging also weiter, wieder fröhlich singend und kam an der nächsten Herberge an. Wieder war dort niemand anzutreffen und auf dem Schild stand auch noch, dass die Herberge erst ab 14 Uhr geöffnet sein würde - es war gerade mal 12 Uhr. Also ging ich noch einen weiteren Kilometer weiter bis zur letzten Herberge in diesem Ort und hoffte, dass ich dort Glück haben würde. Und tatsächlich! Die Herberge war geöffnet und ich war sogar die erste Pilgerin, die sich dort gemeldet hatte.
Man kann sich sicherlich kaum vorstellen, wie froh man in solch einem Moment ist, endlich angekommen zu sein. Mir ist quasi ein riesiger Brocken von den Schultern gefallen. Ihr könnt euch bestimmt nicht vorstellen, was für ein schönes Gefühl es ist, dann seine Schuhe loswerden zu können. Es war irgendwie befreiend. Allerdings war es an diesem Tag nicht das schönste Gefühl, denn als ich meine Schuhe und Socken auszog, stellte ich erst fest, warum mir mein Zeh eigentlich so sehr wehgetan hat. Irgendwie hatte sich im Laufe des Tages eine riesige Blase unter meinem Zehennagel gebildet - fragt mich bloß nicht, wie so etwas entstehen kann. Ich hatte vorher selbst nicht gewusst, dass so etwas überhaupt möglich ist. In diesem Augenblick wurde mir für einen Moment wirklich mulmig zumute. Ich versuchte dennoch ruhig zu bleiben und mir einzureden, dass alles gut werden würde. Nachdem ich frisch geduscht eine Runde gedöst hatte, trafen auch einige andere Pilger ein. Eine ältere Frau, der ich schon einmal auf dem Weg begegnet war, war auch in dieser Herberge. Und da sie schon einige Jakobswege gegangen war, bat ich sie um ihren Rat. Sie schaute sich meinen Zeh an - bei dem ich die Blase mittlerweile irgendwie runtergedrückt hatte, sodass die Flüssigkeit austreten konnte - und sagte mir anschließend, dass ich das am besten mal von einem Arzt anschauen lassen sollte. So informierte ich mich bei dem Herbergenbesitzer, ob es vielleicht einen Bus geben würde, der mich am nächsten Morgen in den nächstgrößeren Ort mit Krankenhaus oder Arzt bringen könnte. Netterweise kam er mit der Information, dass sein Vater am nächsten Morgen in den Ort fahren würde und mich dorthin mitnehmen könnte - so überaus freundlich.
Der Abend verlief weiterhin ganz ruhig. Wir aßen gemeinsam zu Abend, redeten noch ein wenig und legten uns alle wieder ziemlich früh ins Bett.
TAG 4 Vitorino dos Piães ⟶ Rubiães (29,9 km)
Der Morgen begann ganz ruhig und entspannt mit einem ganz tollen Frühstück. Anschließend packte ich meinen Rucksack und fuhr mit dem Vater des Herbergenbesitzers nach Ponte de Lima, dem nächstgrößeren Ort. Dort setzte er mich vor dem Krankenhaus ab und wünschte mir noch alles Gute auf meinem Weg. Ich war ihm echt unfassbar dankbar dafür, dass er mich an dem Morgen mitgenommen hatte und werde diese Geste niemals vergessen. Da stand ich nun also vor dem Krankenhaus - mit dem fetten Rucksack auf dem Rücken und Flipflops an den Füßen. Ich trat ein und hatte schon ein echt merkwürdiges Gefühl - ich hasse Krankenhäuser schon in Deutschland und dann fahr ich freiwillig in eines im Ausland?! Ich wurde zum Glück ziemlich schnell von einer Schwester mitgenommen und auf einen Platz gesetzt, wo ich auf den Arzt warten sollte. Das war mit Sicherheit die schlimmste Wartezeit meines Lebens. Die Minuten verstrichen, einige Krankenschwestern liefen an mir vorbei, doch keiner interessierte sich in dem Moment für mich. Ihr könnt euch sicher gar nicht vorstellen, wie ich mich in dem Moment gefühlt habe. Ich wollte doch lediglich wissen, ob ich überhaupt weitergehen darf und dann saß ich da auf diesem blöden Stuhl im Krankenhaus und die Krankenschwestern liefen alle nur an mir vorbei. Mir schossen plötzlich Tränen in die Augen. Die ersten und letzten Tränen auf dem Jakobsweg. Und das nur, weil ich bloß nicht die Info erhalten wollte, dass ich nicht weiterlaufen darf. Nach einer Stunde warten kam dann endlich eine Krankenschwester auf mich zu - die einzige, die englisch sprechen konnte, wie sie mir anschließend erzählte. Deshalb musste ich auch so lange warten, die anderen hätten mir nämlich nicht mal helfen können. Die Krankenschwester war unfassbar freundlich und erzählte mir, dass sie selbst gerne wandern geht und es völlig verstehen kann, dass ich letztendlich irgendwo an meine Grenzen gehe. Sie desinfizierte meine Blasen, ließ mir von der Ärztin Antibiotikum und Schmerzmittel verschreiben und gab mir die Info, dass ich selbst entscheiden soll, ob ich weitergehen möchte oder nicht. Allerdings sagte sie noch, dass ich nur weitergehen soll, solange ich keine Schmerzen spüre. Und das war die schönste Nachricht, die ich hätte bekommen können. Mir fiel ein Stein vom Herzen! Denn ich musste nicht aufgeben, ohne mein Ziel zu erreichen.
Mit dieser positiven Nachricht machte ich mich also wieder auf den Weg in Richtung Jakobsweg und machte zwischendurch noch einen Abstecher in einer Apotheke. Schließlich brauchte ich das entzündungshemmende Antibiotikum und das Schmerzmittel, um weitergehen zu können. Nachdem ich also meine Medikamente besorgt hatte, setzte ich mich an der Brücke einmal an den Wegesrand und wechselte mein Schuhwerk - in Flipflops weiterlaufen wäre nämlich keine gute Idee gewesen.
In Wanderschuhen ging es dann also weiter, erstmal über die Brücke rüber. Ich war plötzlich wieder wunderbar gelaunt und voller Tatendrang - auch wenn ich ein echt schlechtes Gewissen hatte, da ich durch die Autofahrt zum Krankenhaus 12 Kilometer Fußweg übersprungen hatte. Wie dem auch sei, es ging weiter und das hat mich unfassbar glücklich gemacht.
Nachdem ich also die Brücke überquert hatte, führte der Weg an vielen schönen Landschaften vorbei. Da der Mittag jedoch näherrückte, wurde es dementsprechend immer wärmer. Nicht so vorteilhaft bei dem Teil der Strecke, denn die Wege führten sehr viel bergauf. Dies führte auch dazu, dass es für mich persönlich der wohl anstrengendste Tag war. Wie ich anschließend durch meinen Pilgerführer erfahren habe, ging es an diesem Tag auf eine Höhe von 405 Metern. Kein Wunder, dass ich geschwitzt habe wie ein Schwein. Ich bin ja auch fast gekrochen, um den höchsten Punkt der Etappe zu erreichen. Zum Glück waren meine Schmerzen betäubt, sodass ich wirklich ohne Probleme den Weg überstehen konnte. Und dennoch war ich wahnsinnig froh, als ich die Herberge endlich erreicht hatte.
In dieser Nacht habe ich zum ersten Mal in einer öffentlichen Herberge geschlafen. Was der Unterschied zu den vorherigen Herbergen war, konnte ich direkt erkennen. Denn neben dem wirklich günstigen Preis schliefen hier etwa 40 Leute in einem Schlafsaal - was für mich überhaupt kein Problem darstellte.
In dieser Herberge lernte ich einige wirklich liebe Mädels kennen, mit denen ich am Abend auch noch gemeinsam gekocht und gegessen hatte. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, tauschten uns aus und hatten auch eine Menge zu lachen. Kurz vor dem Schlafengehen machte ich mit Janina, einem der Mädchen, aus, dass wir am nächsten Morgen gemeinsam weitergehen. Sie war bis hierhin mit einer Freundin unterwegs gewesen, die leider wieder Heim musste, da sie nicht länger Urlaub bekommen hatte.
TAG 5
Rubiães ⟶ Tui (19 km)
In dieser Nacht hatte ich erstaunlich gut geschlafen, obwohl sich noch 39 andere Personen mit im Raum befanden und auch einige Schnarchnasen darunter waren. Ich hatte anfangs Angst, dass mich das irgendwie beunruhigen würde, aber dem war zum Glück nicht so. Der Tag begann wieder relativ früh, denn Janina und ich hatten uns dazu entschlossen, um 7 Uhr loszulaufen.
Wir durchquerten auf dem Weg zu unserer Zieletappe zwei weitere Orte und hatten einen wirklich entspannten Weg. Ich konnte mich mit Janina super unterhalten und wir verstanden uns auf Aufhieb wirklich gut. Irgendwie sind wir sogar ein ähnliches Tempo gelaufen, sodass sich keiner von uns dem anderen wirklich anpassen musste.
An der Festungsmauer von Valença konnten wir dann wieder einen ganz wundervollen Ausblick genießen, ehe es dann weiter zur Brücke ging, die uns nach Spanien führte.
Irgendwie war es total merkwürdig an dieser Brücke zu stehen. Denn abgesehen davon, dass die Brücke zwei verschiedene Länder miteinander verbunden hat und sich die Grenze zwischen Portugal und Spanien direkt in der Mitte des Flusses befand, standen wir vor der Brücke in einer anderen Zeitzone. Man macht quasi eine kleine Zeitreise, wenn man über die Brücke geht - auch wenn es sich dabei nur um eine einzige Stunde handelt.
Der Ausblick beim Überqueren der Brücke war auf jeden Fall wunderschön. Und wir bekamen nach längerer Zeit endlich mal wieder eine Windbrise zu spüren.
Da waren wir dann also - endlich in Spanien. Was in diesem Fall auch gleich ausgesagt hat, dass wir bereits die Hälfte der gesamten Strecke hinter und gebracht haben. Wahnsinn! Irgendwie kaum vorstellbar. An diesem Punkt stellte sich auch unsere Uhr wieder eine Stunde nach vorne.
Der Weg zur Herberge führte uns noch ein Stück durch den Ort und ein wenig am Fluss entlang. Es war ein wirklich herrlicher Tag und wir waren gar nicht so ausgelaugt wie an all den anderen Tagen zuvor.
Wir kamen an diesem Tag recht früh an der Herberge an und hatten dementsprechend noch einen entspannten Nachmittag und Abend zum Genießen. Nach einer entspannten Dusche machte ich mich kurz auf den Weg nach draußen, um ein wenig die Umgebung zu erkunden. Tui ist wirklich ein schönes kleines Städtchen mit vielen tollen, alten Gebäuden. Mich faszinieren solche Fassaden ja immer total.
Wieder in der Herberge angekommen unterhielt ich mich noch kurz mit einigen anderen Pilgern und wir verabredeten uns für diesen Abend, um gemeinsam Essen zu gehen. Bis dahin machten Janina und ich uns noch kurz auf den Weg zum Supermarkt, um uns für den nächsten Tag mit Wasser und ein paar Snacks auszustatten.
Als wir dann vom Supermarkt zurückkamen, gingen wir anschließend mit einigen anderen runter zum Fluss und genossen dort den Abend. Um 19:30 Uhr waren wir dann mit einigen anderen Pilgern vor einem Lokal zum Abendessen verabredet. Merkwürdigerweise war das Lokal noch geschlossen, obwohl jemand gelesen hatte, dass es um 19:30 Uhr öffnen würde. Als dann irgendwann jemand fragte, was wir eigentlich für einen Tag hatten und jemand anderes antwortete "Dienstag", fiel uns auf, dass an dem Lokal dick und fett dran stand "Tuesday closed". Was für ein Glück wir doch hatten - aber gleichzeitig auch etwas zu lachen. Also machten wir uns gemeinsam auf den Weg, um ein anderes Lokal auszusuchen. Da es in der Umgebung viele Lokale zur Auswahl gab, dauerte es gar nicht so lange, bis wir eines gefunden hatten. Wir verbrachten einen sehr amüsanten und unterhaltsamen Abend in einer sehr gemischten Gruppe - bestehend aus vier Deutschen, einer Spanierin, einem Italiener, einem Brasilianer und einem Australier. Es war echt toll diese Menschen kennenzulernen und zu erfahren, was der Hintergrund bei ihnen ist, diesen Weg zu gehen. Bei einigen von ihnen war es sogar bereits der zweite Camino.
Anschließend gingen wir alle gemeinsam wieder zurück zur Herberge und legten uns auch direkt schlafen.
TAG 6
Tui ⟶ Mos (23 km)
An diesem Morgen klingelte der Wecker schon ziemlich früh und Janina und ich gingen wieder gemeinsam los. Wir machten uns bereits um 6:30 Uhr auf den Weg. Was wir nicht bedacht haben ist, dass es durch die Zeitverschiebung morgens ja noch etwas dunkler ist um die Uhrzeit als es in Portugal gewesen ist. Somit liefen wir die erste Stunde komplett im Dunkeln, was uns das Pfeile erkennen echt schwer machte. Dazu verlief der Weg anfangs auch noch entlang eines Waldes, was gleichzeitig dazu führte, dass einem der Weg noch dunkler erschien. Diesmal trafen wir jedoch schon ziemlich früh auf andere Pilger, die sich scheinbar auch gerne im Dunkeln auf den Weg machten. Das hatte ja irgendwo auch seine Vorteile - man ist nämlich weniger in der Mittagssonne unterwegs. Den zwei Pilgern haben wir sogar in einer Situation geholfen, denn die zwei hätten sich sicherlich verlaufen, hätten wir sie nicht auf den richtigen Weg geführt. Sie haben die Pfeile an einer Stelle nämlich nicht gesehen.
Obwohl der Weg eigentlich ziemlich entspannt war und wir uns keine sonderlich große Etappe vorgenommen hatten, waren wir relativ schnell erschöpft. Wahrscheinlich spürten wir einfach die letzten Tage noch in den Knochen und waren deshalb etwas ausgelaugt.
Anfangs verging die Zeit auch echt ziemlich schnell und wir brachten einen Kilometer nach dem anderen hinter uns. Doch die letzten Kilometer zogen sich echt in die Länge. Wir hatten zum Ende hin sogar eine Theorie, woran das hätte liegen können. Denn komischerweise waren wir immer dann richtig erschöpft, wenn wir viel über asphaltierte oder gepflasterte Straßen laufen mussten. Unsere Theorie war demnach, dass wir unsere Energie an die Straße abgegeben haben und unsere Beine uns deshalb so schwer vorkamen.
Wie wir aber zwischendurch auf den Gedanken kamen, eventuell noch einen Ort weiterzulaufen, konnte ich mir nicht erklären. Denn als wir in der Herberge ankamen, waren wir echt K.O. Wir mussten ja auch immer gegen Ende der Strecke das Glück haben, dass es bergauf ging und die Straßen komplett in der Sonne verliefen. Nicht ohne Grund machte ich dann also nach dem Duschen erstmal ein Nickerchen - ich war nämlich wirklich platt. Dementsprechend stand nach dem Essen auch wieder zeitiges zu Bett gehen auf dem Programm.
TAG 7
Mos ⟶ Pontevedra (28,6 km)
Der Tag begann wieder ziemlich früh und wir machten uns wie auch die letzten Tage gegen 6:30 Uhr auf den Weg - das wurde irgendwie schon zur Routine. Was ich dazu noch anmerken muss ist, dass ich morgens merkwürdigerweise immer wirklich fit war, obwohl es so früh aus den Federn ging.
Nach den ersten Metern mussten wir bereits feststellen, dass uns die Strecke bis Redondela wirklich viel bergauf führte. Da waren wir echt froh, dass wir uns am Tag zuvor dagegen entschieden hatten weiterzulaufen. Denn in der Mittagssonne wären wir bei diesem Teil der Strecke gestorben.
Der Morgen war für den Teil der Strecke aber wirklich perfekt. Die Luft war nämlich super angenehm und kühl. Janina und ich unterhielten uns wieder die ganze Strecke über und führten mittlerweile schon echt tiefgründige Gespräche. Es kam mir nicht vor als würde ich sie erst zwei Tage kennen.
Der Tag bestand diesmal daraus, mehrere kleine Etappen zu bewältigen und irgendwie waren wir scheinbar so schnell unterwegs, dass wir gar nicht bemerkt haben, wie wir bereits 16 Kilometer und somit mehr als die Hälfte der Tagesstrecke hinter uns gebracht haben.
Da wir am Vortag viel weniger Strecke zu laufen hatten und dort schon nach wenigen Kilometern gespürt haben, wie erschöpft wir waren, hat es uns an diesem Tag echt erstaunt, dass wir noch so viel Energie hatten. Wir machten an diesem Tag auch gar keine richtige Pause. Wir hielten lediglich in einem Café, weil Janina sich kürzere Kleidung anziehen wollte. In dem Zuge holten wir uns natürlich auch einen Stempel für unseren Pilgerpass. An diesem Punkt begegneten wir plötzlich unzähligen anderen Pilgern und stellten dort erst richtig fest, dass wir mittlerweile auf der Strecke laufen, die wirklich alle laufen. Denn ab der spanischen Grenze führten beide Wege zusammen - also der Küstenweg und der traditionelle, zentrale Weg.
Wir hatten an diesem Tag eine echt schöne Strecke zu laufen und zum Ende sogar eher das Gefühl, als würden wir einen Spaziergang durch den Wald machen. Allerdings spürten wir dann doch auf den letzten Kilometern, dass uns die Füße jeden Moment abfallen könnten.
Nachdem wir die drei Tage davor nämlich immer eher kurze Strecken mit maximal 23 Kilometern gelaufen waren, war das heutige Etappenziel echt eine Hürde. Obwohl es nur 5 Kilometer mehr waren. Komischerweise spürt man das relativ schnell, wenn man eine längere Strecke läuft. Da können sich die letzten Kilometer manchmal doppelt so lang anfühlen.
Dennoch haben wir es irgendwie gemeistert und waren letztendlich gar nicht so erschöpft wie an den ersten Tagen. Die Beine schienen sich langsam daran zu gewöhnen, jeden Tag eine gewisse Strecke zurückzulegen. Und meine Blasen regenerierten auch immer mehr, aber sie waren ja zusätzlich auch durch Schmerztabletten ein wenig betäubt.
Die Herberge, die wir an diesem Tag erreichten, war in meinen Augen bisher die größte, in der ich geschlafen hatte. Es war, wie die letzten Tage auch, eine öffentliche Herberge. Da mir die Herberge in diesem Fall zu groß und dementsprechend zu unübersichtlich erschien, packte ich alle meine Wertsachen zusammen und trug sie immer bei mir.
Der Nachmittag und Abend verlief aber eher unspektakulär und es ging wieder ziemlich zeitig zu Bett.
TAG 8
Pontevedra ⟶ Caldas de Reis (22,4 km)
Völlig routiniert begann auch dieser Morgen schon ziemlich früh, sodass wir uns wieder gegen 6:30 Uhr auf den Weg machen konnten. In dieser Herberge starteten allerdings auch viele andere um diese Uhrzeit. Trotzdem seilten wir uns irgendwie ab und gingen nur zu zweit los - es hatte schließlich jeder sein eigenes Tempo.
Es war der erste Tag, an dem wir kein perfektes Wetter hatten. Denn der Morgen grüßte mit leichtem Nebel und etwas Sprühregen. Was für uns aber überhaupt kein Problem darstellte, eher im Gegenteil, es kam uns zugute, denn so war es irgendwie noch viel angenehmer zu laufen.
Beim Überqueren einer Hauptstraße wurden wir dann von zwei anderen jungen Pilgern eingeholt und fingen in dem Zuge auch gleich an uns mit ihnen zu unterhalten. Nadine und Patrick hatten an diesem Tag das gleiche Etappenziel wie wir, deshalb liefen wir einfach gemeinsam weiter.
Kurz bevor wir das Etappenziel erreicht hatten, liefen wir an einem Café vorbei, wo wir uns dazu entschlossen, uns noch auf einen Kaffee hineinzusetzen. Schließlich war es noch ziemlich früh. Wir machten etwa eine halbe Stunde Pause in diesem Café, kümmerten uns währenddessen um Buchungen von Bussen und Unterkünften und Umbuchungen von Flügen. Da ich mittlerweile feststellte, dass ich viel früher in Santiago ankommen würde als ich es anfangs geplant hatte, beschloss ich, gleich auch etwas eher wieder nach Hause zu fliegen. Nach einem leckeren Kaffee gingen wir in aller Ruhe weiter in Richtung Herberge.
Irgendwie waren wir aber davon ausgegangen, dass wir noch viel weiter zu laufen hatten als es am Ende war. Denn wir waren völlig überrascht als wir plötzlich in dem Zielort angekommen waren. Damit hatten wir nicht gerechnet. So waren wir sogar eine halbe Stunde vor Öffnung der Herberge bereits da. Beim Warten lernten wir auch noch Rebecca und Julia kennen und entschieden uns dafür, nach dem Duschen gemeinsam den Ort zu erkunden. Wir verbrachten einen gemütlichen Nachmittag in einer wirklich herzlichen Runde, hatten viel zu reden und auch eine Menge zu lachen.
Anschließend gingen wir auch noch alle gemeinsam in den Supermarkt, um für den nächsten Tag ein paar Snacks und Wasser zu besorgen und gleichzeitig auch einige Zutaten einzukaufen, um am Abend zusammen zu kochen. Nach dem Essen saßen wir dann noch eine Weile zusammen und unterhielten uns und gingen dann anschließend wieder zeitig zu Bett.
TAG 9
Caldas de Reis ⟶ Padrón (18,3 km)
Ein amüsanter Start in den Tag stand an diesem Morgen auf dem Programm. Janina und ich hatten zwei Betten direkt nebeneinander und wir hatten uns darauf geeinigt, dass ich sie morgens wecken würde. Das tat ich dann auch ganz ruhig. Als ich sie ansprach und fragte, ob sie auch aufstehen möchte, regte sie sich erstmal nur über die Schnarcher im Zimmer auf - da würde jemand so laut schnarchen. Als ich sie dann noch einmal fragte, ob sie aufstehen mag, regte sie sich noch einmal auf - sie hätte doch Ohropax und in welcher Frequenz die Person denn schnarcht, dass sie sie trotzdem hören kann. Ich musste echt lachen in dem Moment, denn ich habe nichts von den Schnarchern mitbekommen - wenn ich schlafe, dann schlafe ich nämlich wie ein Stein.
Wir machten uns in aller Ruhe fertig, packten unsere sieben Sachen zusammen, aßen eine Kleinigkeit zum Frühstück und machten uns dann gemeinsam mit Nadine und Patrick auf den Weg. Auch an diesem Tag waren wir echt flott unterwegs und erreichten ziemlich schnell den Punkt, an dem wir uns von Janina trennen mussten. Sie hatte sich nämlich dazu entschlossen, einen kleinen Umweg zu gehen und eine Nacht im Kloster zu übernachten. Bevor sich unsere Wege jedoch trennten, setzten wir uns noch in ein Café und machten gemeinsam Pause. Anschließend war es ein echt merkwürdiges Gefühl sich voneinander zu verabschieden, denn irgendwie war man sich dann doch ein wenig ans Herz gewachsen. Aber wir hatten uns ja bereits für den letzten Tag verabredet, um dort noch einmal gemeinsam den Abend zu verbringen.
So trennten sich also unsere Wege und ich ging mit Nadine und Patrick weiter. Die letzten 2 Kilometer kamen mir wirklich wahnsinnig kurz vor. Kein Wunder also, dass wir wieder viel zu früh an der Herberge ankamen. Wir waren allerdings nicht die Ersten. Es bildete sich bereits eine Rucksack-Schlage vor der Eingangstür der Herberge. Wir warteten also, bis die Herberge geöffnet wurde, sprangen schnell unter die Dusche und verbrachten anschließend einen ganz entspannten Nachmittag.
Neben unserer Herberge hatten wir eine kleine Anhöhe, wo man einen schönen Ausblick genießen konnte. Ich ging nach oben, um einen kurzen Augenblick allein zu sein und kurz durchzuatmen. In dem Moment realisierte ich erst, dass es der vorletzte Tag war, an dem ich meine Wanderschuhe angezogen habe. Am nächsten Tag ging es auf die Zielgerade zu und das letzte Ziel war Santiago. Das Ende war also bereits in Sicht und wir alle waren nur noch 24 Kilometer davon entfernt. Kaum zu glauben, dass diese Zeit bereits am nächsten Tag vorbei sein sollte. Obwohl sich die ersten Tage bei mir wirklich in die Länge gezogen haben und ich zwischendurch dachte, dass es ein echt langer Urlaub werden könnte, verflogen die letzten Tage wirklich schnell. Und das wurde mir genau in diesem Moment erst richtig bewusst.
Für den Abend entschieden wir uns alle dafür, wieder gemeinsam Essen zu gehen. Als wir im Lokal saßen, mussten wir dann feststellen, dass in der letzten Herberge geklaut wurde. Bei einigen fehlte nämlich Geld. Und wir hatten uns schon gewundert, warum am Abend davor einige Sachen durcheinander waren und ein russisches Mädchen weinend aus der Herberge gelaufen ist. Wie uns anschließend ein Italiener erzählte, fühlte sich das Mädchen an dem Abend nicht mehr sicher, da ihr Rucksack wohl komplett durchgewühlt worden ist - aber bei ihr hat wohl glücklicherweise nichts gefehlt.
In diesem Moment war ich dann froh, dass ich mich ab der größeren Herberge dazu entschieden hatte, meine Wertsachen immer bei mir zu tragen. Ja, ich habe sie sogar mit auf Toilette genommen, damit mir bloß nichts geklaut wird - immerhin hatte ich ja auch meine Kamera dabei.
Traurig, dass sowas überhaupt passiert. Aber wir waren uns ziemlich sicher, dass es keiner der anderen Pilger war, der andere beklaut hat, sondern dass es irgendjemand völlig Fremdes gewesen sein muss.
Nach diesem kleinen Schock ging es für uns alle wieder zurück in die Herberge, wo wir uns dann noch ein Gläschen Wein gönnten und anschließend zu Bett gingen.
TAG 10
Padrón ⟶ Santiago (24,3 km)
Der letzte Morgen, an dem die Füße mit Hirschtalg eingecremt wurden und man sich gegenseitig einen "Buen Camino" gewünscht hat. Es fühlte sich merkwürdig an, dass danach alles vorbei sein sollte. Ich konnte es gar nicht so richtig realisieren, dass ich nach dem heutigen Tag insgesamt 240 Kilometer zu Fuß zurückgelegt haben soll.
Wir machten uns diesmal wieder zu viert auf den Weg und hatten natürlich auch wieder unsere routinierte Zeit eingehalten. Der Weg war super entspannt und es machte wieder den Anschein, dass es einfach nur ein Morgenspaziergang wäre. Immer wieder liefen wir an Steinen vorbei, die uns die Entfernung zu Santiago anzeigten. Und plötzlich stand dort eine Zahl, die weniger als 10 Kilometer anzeigte.
Wir waren irgendwie noch gar nicht erschöpft und dabei hatten wir bereits mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Wir hielten Ausschau nach einem Café, in das wir uns noch kurz reinsetzen konnten, um nicht allzu früh in Santiago anzukommen. Denn wir waren doch irgendwie ziemlich flott unterwegs.
Was etwas nervig war, waren die plötzlichen Massen an anderen Pilgern. Man war irgendwie gar nicht mehr allein unterwegs und hatte gar nicht mehr die Ruhe, die man von den ersten Tagen gewohnt war.
Zum Glück zog der Strom an Pilgern recht zügig an uns vorbei, sodass wir dann einigermaßen ruhig weitergehen konnten, ohne von anderen Pilgern umzingelt zu sein.
Wir rückten der Stadt also immer näher und näher und irgendwie wollten wir noch gar nicht ankommen. Es ging alles auf einmal so schnell und wir waren schneller am Ziel als gedacht.
Und dann stand ich also da, vor der riesigen Kathedrale von Santiago. Ich hatte mein Ziel erreicht. Kaum zu glauben, dass ich wirklich von Porto bis hierhin zu Fuß gelaufen bin. Und trotzdem fühlte es sich nicht so an, wie ich es erwartet hatte. Ich dachte, ich würde voller Freude überwältigt sein, dass ich endlich am Ziel angekommen bin. Aber es war überhaupt nicht so. Ich stand einfach nur vor dieser Kathedrale und dachte mir: "Ja, jetzt bin ich angekommen und nun?" Es war wirklich merkwürdig, dass sich emotional überhaupt nichts getan hat in diesem Moment. Doch ich war trotzdem erleichtert, dass das nun der letzte Tag in Wanderschuhen gewesen ist. Anstrengend war der gesamte Weg nämlich allemal!
Den Tag verbrachte ich noch ganz entspannt, checkte im Hostel ein, wo ich die letzte Nacht verbracht habe und traf mich anschließen noch mit Janina. Wir setzten uns in den Park und quatschten noch ganz viel. Sie erzählte ein wenig vom Kloster und wie es ihr ergangen ist, als sie so völlig allein gelaufen ist - immerhin war es der erste Tag, an dem sie komplett allein gegangen ist.
Am Abend waren wir dann noch mal alle gemeinsam zum Essen verabredet und hatten sicher das leckerste Essen in den gesamten zwei Wochen. Es gab ein richtig tolles Menü, das aus Vorspeise, Hauptgang und Dessert bestand. Und ein leckerer Wein durfte natürlich nicht fehlen.
Es war wirklich ein perfekter Abend zum Abschluss dieses tollen Abenteuers.
MEIN FAZIT
Ich bin auf dem Jakobsweg völlig unerfahren gestartet. Ich bin an meine Grenzen gestoßen und hätte wirklich niemals gedacht, dass dieser Weg so anstrengend sein würde. Und auch wenn ich an manchen Abenden meine Beine kaum spüren konnte und im Krankenhaus einen kurzen Moment gedacht habe, dass ich völlig bekloppt bin, weil ich mir all das antue, bereue ich jetzt keine einzige Sekunde davon. Es war eine wirklich tolle Erfahrung. Vor allem weil ich völlig allein unterwegs war. Ich habe so viele wunderbare Menschen kennengelernt - von jung bis alt. Alle waren sie unglaublich hilfsbereit und total aufgeschlossen. Für mich persönlich war es zwar kein Weg, um mich selbst zu finden, jedoch denke ich, dass ich mir dennoch über einige Dinge in meinem Leben im Klaren geworden bin. Vor allem an den Tagen, an denen ich völlig alleine gelaufen bin, habe ich mir viele Gedanken machen können. Ich bin nun wirklich stark wieder zurückgekommen. Ich habe eine Menge Energie getankt und die Zeit für mich und mit mir selbst hat mir wahnsinnig gut getan.
Dementsprechend würde ich es auf jeden Fall jedem ans Herz legen, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen. Vor allem wenn man mal etwas Zeit für sich selbst braucht, tut einem eine solche Reise wirklich gut.
In diesem Sinne. xoxo, Marina aka. milovelydream
Comments